Praxisbeispiele

„Digitales Klassenzimmer“ in Braunschweiger Jugendcafé

„Unangenehme Gefühle ansprechen, nicht aushalten.“ – Jugendliche diskutieren über Respekt im Netz

Im neuen „Digitalen Klassenzimmer“ des Jugendcafés St. Cyriakus in Braunschweig erlebten Jugendliche Workshops zu Cybermobbing, Social Media und Online-Gefahren. In Übungen und Diskussionen wurde deutlich, wie stark digitale Räume Gefühle prägen. Am Ende blieb ein Appell: „Seid respektvoll miteinander!“

Ein Mann sitzt in einem Seminarraum und gestikuliert. Er schaut nach vorne und spricht.
Lukas Rudnicki vom Verein Cybermobbing Prävention e. V. führt durch den Workshop.

Das Jugendcafé St. Cyriakus in Braunschweig bietet Spiel- und Freizeitmöglichkeiten, einen Proberaum und einen großen Garten. Aber auch für Deutschkurse, Hausaufgabenhilfe und Bewerbungstrainings verbringen junge Menschen hier Zeit. Mit dem neuen „Digitalen Klassenzimmer“ kommt nun ein moderner Seminarraum hinzu. Anfang September wurde er mit einer dreitägigen Workshop-Reihe eröffnet – organisiert vom Jugendmigrationsdienst Braunschweig (getragen vom Caritasverband der Stadt), den vier Respekt-Coaches-Mitarbeiterinnen des JMD und dem Jugendcafé St. Cyriakus.

Insgesamt nahmen drei Schulklassen teil – eine 7. Klasse der Grund- und Hauptschule Rüningen sowie zwei 8. Klassen der Hauptschule Sophienstraße, beides Kooperationsschulen im JMD-Programm Respekt Coaches. Das Ziel: Jungen Menschen einen sicheren und respektvollen Umgang im digitalen Raum nahebringen. Ein Einblick in den ersten Workshop-Tag:
 

Ein neuer Raum zum Lernen – und Fühlen

Es ist der 01.09., 9:00 Uhr. Die Lehrkräfte und Jugendlichen der Klasse 7a treffen noch etwas verschlafen am Jugendcafé ein. Während die Lehrkräfte im Garten sitzen bleiben, geht es für die jungen Teilnehmenden ins „Digitale Klassenzimmer“. Drinnen soll ein geschützter Raum entstehen, in dem persönliche Erfahrungen sicher geteilt werden können.

Referent Lukas Rudnicki vom Verein Cybermobbing Prävention e. V. führt heute durch den Workshop, Respekt Coach Sandra Klenner begleitet ihn pädagogisch. Nach einer lockeren Begrüßung stellt Lukas den Tagesplan sowie die Regeln vor. Es gibt nur zwei, genau so schlicht wie wichtig:

  1. Respektvoller Umgang bedeutet, dass jeder Redebeitrag ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt.
  2. Unangenehme Gefühle ansprechen, nicht aushalten.

Auf dem Boden liegen in einem Kreis Bilder von Abbildungen mit einem Monster, das auf jedem Blatt unterschiedliche Gefühle darstellt. Um die Blätter herum sind Stühle und Personen zu erkennen.
Mit der „Gefühlsmonster“-Übung sollen eigene Gefühle bewusst wahrgenommen werden.


Gefühle sichtbar machen durch das „Gefühlsmonster“

Beim Warm-up „Gefühlsmonster“ teilen die Jugendlichen, wie es ihnen heute geht. Jede Person legt einen Würfel auf ein Monsterbild und erklärt ihre Wahl. Die Übung ist nicht nur ein Check-In, sondern regt dazu an, bewusst auf die eigenen Gefühle zu achten. Die 13 Teilnehmenden sind überwiegend „gut drauf“, „entspannt“ oder „chillig“. Das „müde“-Monster hatte Referent Lukas vorab aussortiert, da es montags meist alle anderen Stimmungen überlagern würde. Eine Schülerin, die von ihrer Schulbegleiterin unterstützt wird, berichtet von einem Streit mit ihrer Mutter am Morgen, weshalb sie das traurige Monster wählt.

„Was hat das jetzt mit Internet-Nutzung zu tun? Internet beeinflusst unsere Gefühle“, sortiert Lukas ein und wendet sich, um konkreter zu werden, an einen Schüler: „Andi [Name geändert], du hast gesagt, du zockst ziemlich viel. Was fühlst du, wenn es gut läuft?“ Andi überlegt zunächst kurz und antwortet: „Wenn ich gewinne, bin ich glücklich. Wenn ich ‚ablose‘, leidet der Tisch darunter.“ „Also bist du wütend und haust auf den Tisch?“ „Ja, genau.“ Ein Beispiel, das viele nachempfinden können und das zeigt, wie Internetnutzung nicht nur unsere Stimmung, sondern auch unsere affektiven Handlungen beeinflussen kann.


Im Garten: Internet-Bäumchen, wechsel dich

Nach einer kleinen Pause geht es nach draußen. Durch Aufstellungen auf dem Rasen sollen die Jugendlichen ihre Nutzungsgewohnheiten und Erfahrungen im Netz anhand verschiedener Fragen darstellen:

  • Wer hat Regeln zur Handynutzung?
  • Wer nutzt mehr Insta, WhatsApp oder TikTok?
  • Wer hat schon etwas geschickt bekommen, das er oder sie nicht wollte?


Einige berichten bei der Übung von übergriffigen Erfahrungen: „Ich habe schon mal sexualisierte Inhalte über TikTok geschickt bekommen.“, erzählt eine Schülerin. Über die persönlichen Erlebnisse kommt die Gruppe ins Gespräch darüber, wo eigentlich Grenzen liegen und wann sie überschritten werden. „Alles, was euch schlechte Gefühle macht, ist nicht okay.“, fasst Lukas kurz zusammen.


Eine Gruppe junger Menschen steht auf einer grünen Wiese.
Im Garten des Jugendcafés: Für die Aufstellungsübung wechselt die Klasse das Setting.


Rollenspiel zu Gefahren im Netz

Zurück im „Digitalen Klassenzimmer“ wird es ernst, Lukas stellt ein fiktives Szenario vor: Schüler Andi will sich mit seinem Freund Tom treffen, den er nur online vom Zocken kennt. Dann kommt aber nicht Tom, sondern ein Mann, der sagt: „Tom ist krank, ich bin sein Vater. Wir bringen ihm seine Lieblingschips nach Hause, dann könnt ihr da zusammen zocken, komm doch mit.” Die Stimmung im Raum verändert sich, als die Jugendlichen realisieren, dass dieses fiktive Beispiel nicht allzu weit entfernt ist von einer realen Gefahr.

Um das Ganze aufzulösen, erarbeiten Sandra Klenner und Lukas gemeinsam mit den Teilnehmenden Handlungsoptionen für den Umgang mit solchen Situationen. Viele identifizieren die richtigen Ansätze, etwa den Inhalt zu melden, die Person zu blockieren und Eltern oder andere erwachsene Vertrauenspersonen zu informieren.

Dann hält Sandra Klenner ihr Handy plötzlich vor den Referenten und fotografiert ihn. Als wäre die Szene für die Klasse choreografiert, fragt Lukas in die Runde: „Darf sie mich einfach fotografieren?” Und los geht’s mit dem Thema Fotos im Netz: Wer darf was? Was ist sicher? Wo fängt sogar Mobbing an? Die jungen Menschen beteiligen sich rege an der Diskussion, denn Fotos von sich und anderen haben fast alle schon verschickt.


Gruppenarbeit: Social Media und Gefühle

Der letzte Workshop-Teil besteht aus Gruppenarbeiten zu verschiedenen Fragen, darunter „Was ist Cybermobbing?“ und „Kann uns Social Media krank machen?“. Am Ende werden die Ergebnisse auf dem neuen Touch-Monitor des „Digitalen Klassenzimmers“ geteilt und besprochen. So lernen die Jugendlichen zum Beispiel, woran es liegt, dass soziale Medien Glücksgefühle in uns freisetzen, andersherum aber auch negative Gefühle auslösen oder verstärken können.
 

Hände mit Tablet und Handy sind zu sehen. Sie tippen etwas in das Handy.
Für die Gruppenarbeit nutzen die Jugendlichen Tablets des JMD zur selbständigen Recherche.


Bevor die Klasse 7a entlassen wird – voll mit Informationen, Gedanken und Eindrücken – hat Lukas noch einen Appell an die Gruppe: „Seid respektvoll miteinander!“, und ruft dazu auf, die eigene Internetnutzung immer wieder zu reflektieren, Inhalte und Quellen kritisch zu hinterfragen und Verantwortung im digitalen Raum zu übernehmen.

 

Weitere Infos: Jugendcafé St. Cyriakus und das „Digitale Klassenzimmer“

Das Jugendcafé St. Cyriakus wird vom JMD Braunschweig (Caritasverband Braunschweig) unter der Leitung von Julian Pelka betrieben. Es ist ein Ort, an dem Jugendliche in ihrer Freizeit zusammenkommen können. Es kann gespielt oder gekocht werden, sogar ein mit Instrumenten ausgestatteter Proberaum steht bereit. Für junge Menschen mit Migrationsgeschichte bietet der JMD unterschiedliche Formate an, etwa zur Deutschförderung oder Hausaufgabenhilfe.

Mit der Eröffnung des „Digitalen Klassenzimmers“ steht ein Workshop-Raum mit großem Bild-schirm zur Verfügung. Ganz einfach können Teilnehmende sich mit dem Screen verbinden und Ergebnisse und Impulse mit der Gruppe teilen. Solche Geräte sind in der Anschaffung kosten-intensiv. Die JMD- und Respekt-Coaches-Mitarbeitenden bedanken sich daher herzlich bei der Firma Wilhelm Ewe GmbH & Co.KG, die das Projekt „Digitales Klassenzimmer“ mit einer Summe von 12.327,56 € gefördert und den Jugendlichen damit neue Möglichkeiten erschlossen hat. 

Durch Gruppenangebote der Respekt Coaches soll das Jugendcafé nun darüber hinaus als Lern-, Freizeit- und Wohlfühlort neu belebt werden.

 

Ein Beitrag von:
Servicebüro Jugendmigrationsdienste
Veröffentlicht: 01.10.2025

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